Das Alte Observatorium – Der Zukunft auf der Spur

Das Alte Observatorium – Der Zukunft auf der Spur

Es gibt namhaftere Sehenswürdigkeiten in Beijing, zu dicht ist die Fülle an kulturellem Erbe, welche einen Besuch oder einen längeren Aufenthalt in der chinesischen Hauptstadt so lohnenswert macht. Und so fällt einem das „Alte Observatorium“ auch nicht unbedingt sofort als herausragende Touristenattraktion ein, zudem dieser festungsähnliche Bau nahe der U-Bahnstation Jianguomen von außen betrachtet auch nicht große Entdeckungen oder Neuigkeiten verspricht. Unscheinbar erscheint auch das Innere der Anlage; ein kleiner Hof, verschiedene astronomische Instrumente und Apparate, einige Büsten von berühmten chinesischen Astronomen, kleinere Ausstellungen, zwei schlafende Katzen…

Aber diese Einfachheit trügt, denn es ist die mehr als 700-jährige Geschichte des Alten Observatoriums, die es in sich hat und die einen Einblick gibt in die Zeit der Mongolenherrschaft, die Errungenschaften chinesischer und europäischer Astronomie, in die Zeit der Missionare am Kaiserhof, die Herrschaft des großen Kaisers Kangxi, die Zeit des Boxeraufstandes und in die neuere Vergangenheit Chinas. Dieser umfassende Einblick in die chinesische Geschichte ist nicht sofort offensichtlich, aber er erschließt sich mehr und mehr, je intensiver man sich mit dem Alten Observatorium beschäftigt.

Beginnen wir bei den Mongolen: diese herrschten während der Yuan-Dynastie (元朝, Yuáncháo) von 1279 – 1368 über China, proklamiert wurde die Dynastie 1271 von Kublai Khan, einem Enkel von Dschingis Khan. Und dieser Kublai Khan war es auch, der 1279 den Bau einer Sternwarte in der unmittelbaren Nähe des aktuellen Standorts des Alten Observatoriums in Auftrag gab. Verantwortlich für die Ausführung waren die Astronomen Wáng Xún (王恂) und Guō Shǒujìng (郭守敬), und eines der Ziele des Vorhabens war es, den damals als fehlerhaft erkannten gültigen Kalender zu reformieren. Guō Shǒujìng machte sich schon in jungen Jahren einen Namen und zeigte nicht nur als Astronom und Mathematiker große Leistungen – als talentierter Wasserbauingenieur war er beispielsweise auch für den Bau des nördlichsten Abschnitts des Kaiserkanals verantwortlich, den 80 Kilometer langen Tonghui-Kanal, auf dem schließlich die Hauptstadt mit Getreide aus dem Süden versorgt wurde.

Guō Shǒujìng erhielt also die Aufgabe, den damals in China gültigen Kalender zu reformieren, und basierend auf Informationen und astronomischen Geräten aus Persien und Arabien entwickelte er schließlich 1280 den Shou Shili (授時曆), einen neuen Kalender, der mit kleineren Abänderungen immerhin 364 Jahre in China gültig sein sollte und in dem die Dauer eines Jahres mit exakt 365,2425 Tagen angegeben wurde.

1442, in der Ming-Dynastie, wurde der wuchtige Turm erbaut, in dem auch heute noch das Alte Observatorium seinen Sitz hat. Unter der 61-jährigen Regentschaft des Qing-Kaisers Kangxi (er lebte von 1654 – 1722) wurde die Sternwarte erneuert und ausgebaut. Kangxi gilt als einer der bedeutendsten Herrscher der chinesischen Geschichte, er war unter anderem Auftraggeber des bis heute gebräuchlichen Kangxi-Wörterbuches (康熙字典), einem Zeichenlexikon der chinesischen Schrift.

Verantwortlich für die Renovierung des Observatoriums waren Ferdinand Verbiest und sein Nachfolger als Hofastronom, Antoine Thomas. Die beiden Belgier setzten damit die lange Tradition namhafter europäischer Wissenschaftler und Jesuitenpater am Hofe des Kaisers fort, Vorgänger von ihnen waren beispielsweise der Italiener Matteo Ricci oder die beiden Deutschen Johann Schreck und Adam Schall von Bell. Diese Jesuitenpater genossen nicht nur alle ein großes Ansehen und hohe Positionen am Kaiserhof, sie entwickelten auch verschiedene astronomische Geräte. Allen voran Ferdinand Verbiest: dieser überarbeitete 1673 ein Altazimut, ein Gerät zur Bestimmung der Höhen- und Horizontalwinkel eines Himmelsobjekts, sowie einen Himmelsglobus zum Ablesen der Lage von Himmelskörper zu einem bestimmten Zeitpunkt. Diese Instrumente sind, neben weiteren Meisterwerken der Handwerkskunst und mathematischen Präzision, bis heute erhalten und können auf der zehn Meter hohen Plattform auf dem Dach des Alten Observatoriums besichtigt werden.

Neben dieser blühenden Zusammenarbeit zwischen chinesischen und westlichen Wissenschaftlern wurde das Alte Observatorium aber auch Schauplatz eines dunklen Abschnitts der Geschichte beider Seiten: Truppen der westlichen „Acht alliierten Staaten“ plünderten die Anlage im Jahre 1900 bei der Niederschlagung des sogenannten „Boxeraufstandes“. Viele astronomische Geräte wurden anschließend nach Frankreich und Deutschland gebracht, jedoch 1902 beziehungsweise 1921 wieder an China zurückgegeben. Das Alte Observatorium in Beijing war also im Laufe der Geschichte stets ein Schauplatz bedeutender Entdeckungen und Ereignisse; seit 1982 ist es nun ein offizielles Denkmal der Volksrepublik China und fristet ein etwas ruhigeres Dasein.

Bei all diesem geschichtlichen Hintergrund stellt sich natürlich zwangsläufig die Frage: Warum hatte Astronomie in China eine so wichtige Bedeutung? Nun, im alten China sah man den Kosmos als eine Ganzheit an. Das Einzelne war Teil des Ganzen, und das Ganze war im Einzelnen zu finden. Aus diesem Grund wurden auch beispielsweise Katastrophen, Dürren oder Überschwemmungen nicht als einzelnes, unabhängiges Ereignis betrachtet, sie galten vielmehr als Ergebnis der himmlischen Vorgänge. Und da der Kaiser als „Sohn des Himmels“ verehrt wurde und davon abgeleitet die Legitimation zum Regieren innehatte, war es die Aufgabe der kaiserlichen Astronomen, den Himmel zu beobachten, Veränderungen festzuhalten und ihre Erkenntnisse daraus dem Hof mitzuteilen. Ihre Beobachtungen flossen ein in die Beurteilung politischer Belange und dienten auch der Abwehr beziehungsweise der Vorkehr drohender Gefahren.

Ein weiterer wichtiger Grund der enormen Bedeutung der Astronomie: China war und ist bis heute ein von der Agrarwirtschaft geprägtes Land, und gerade die Landwirtschaft orientiert sich an den vier Jahreszeiten, an Neu- und Vollmond oder dem Frühlingsbeginn. Und so heißt auch der traditionelle chinesische Kalender (eine Reform dessen wurde übrigens 1645 mit Hilfe des Jesuiten Adam Schall von Bell durchgeführt), der bis heute etwa zur Berechnung der traditionellen Feste herangezogen wird, auch „Nónglì“ (农历), „Bauernkalender“.

Das Museum ist zudem heute noch im Besitz von Aufzeichnungen aus der Zeit von 1.300 v. Chr. bis 1911 n. Chr. Darin festgehalten sind in diesem Zeitraum in China aufgetretene Himmelsereignisse wie Mond- oder Sonnenfinsternisse oder die Sichtung von Kometen. Diese chinesische Sichtweise des Sternenhimmels dauerte also mehrere Jahrtausende, bis sie schließlich mit dem Ende der Kaiserzeit 1912 vom westlichen System der Sternbilder abgelöst wurde.

Wie gesagt: es ist eher die Geschichte des Alten Observatoriums und die damit verbundenen Zusammenhänge als die Anlage selbst, die diese Sehenswürdigkeit so faszinierend macht. Gleichwohl ist ein Besuch lohnenswert, denn das dazugehörige Museum bietet grundlegende Informationen darüber.

 

Zuerst erschienen auf german.cri.cn

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