Wahrscheinlich ist es die Ruhe, diese fast plötzlich eintretende, überraschende Stille, die den Besucher als erstes gefangennimmt. Tatsächlich wagen es auch nur ein paar Vögel, mit ihrem Zwitschern diese akustische Leere zu durchdringen. Doch scheinen sie sich ihrer Rolle durchaus bewußt, der Ausdruck „Vogelgesang“ kann hier wörtlich genommen werden. Denn genau so klingt es: musikalische Untermalung der Lautlosigkeit.
Dabei wird man, sofern man zu Fuß unterwegs ist und vom Lama-Tempel aus kommend in eine kleine Seitenstraße einbiegt, schon auf diesen Moment vorbereitet. Unbewußt vielleicht, das mag sein. Jedenfalls läßt einem der kurze Spaziergang entlang eines typisch chinesischen Altstadtviertels bereits etwas den Lärm der Großstadt vergessen. Trotzdem, hat man ihn dann betreten, den Konfuzius-Tempel in Beijing, so empfindet man zunächst eine angenehme Entspannung, ein erholsamer, positiver Schock breitet sich in den Gliedern aus. Es ist fast, als ob die Ohren durchatmen würden. Besinnt man sich dann nach diesem, tja, magischen Moment wieder auf seine Augen als Hauptsinnesorgan, so erkundet man damit unwillkürlich den Tempeleingang, fast so, als möchte man die Ursache dieser für Beijing ungewöhnlichen Stille herausfinden. Und so fällt der Blick auf eine Statue des Namensgebers dieses Tempels, die, aus Marmor gehauen, den Besucher begrüßt.
Konfuzius selbst war weder ein Prophet, noch handelt es sich beim Konfuzianismus um eine Religion. Vielmehr war Konfuzius, der 551 vor Christus in Qufu in der heutigen Provinz Shandong geboren wurde, einer der einflußreichsten Denker in der Geschichte Chinas. Seine Lehre hat die chinesische Gesellschaft über zweieinhalb Jahrtausende geprägt und wurde während der Feudalzeit in China sogar zur Staatsdoktrin erhoben. Konfuzius unterrichtete im Laufe seines Lebens an die 3.000 Schüler, vorwiegend in Geschichte, Dichtkunst und Anstand. Der Gelehrte entwickelte eine Reihe moralischer Grundsätze, für die er noch heute verehrt wird. Tugenden wie Menschlichkeit, Rechtschaffenheit oder Loyalität zum Beispiel spielen darin eine wichtige Rolle. Aufgrund seiner herausragenden Leistungen wurde er Bauminister, später Justizminister und schließlich stellvertretender Kanzler seines Heimatstaates Lu. Darüber sowie über das restliche Leben von Konfuzius kann man sich in dem Tempel informieren. Jeff und Lynn aus Sydney etwa, die gerade eine dreiwöchige Rundreise durch China machen, kamen auch aus genau diesem Grund in diese Anlage:
„Ich wusste nicht allzu viel über Konfuzius. Ich las einiges über ihn in meinem Reiseführer, von seinen berühmten Sprüchen „Konfuzius sagt…“ und so weiter. Darüber, dass er ein weiser Mann aus China aus lang vergangenen Zeiten sei…“.
Von der Lehrtätigkeit und dessen prägender Wirkung zeugen heute noch die in der Tempelanlage ausgestellten, etwa zweieinhalb Meter hohen und zirka 80 Zentimeter breiten Steinstelen. Viele von ihnen sind mit Wolken verziert oder werden von einem Drachen gekrönt. In einem regelrechten Wald bestehend aus 198 Stelen sind Name, Rang und Heimatprovinz von 51.624 Absolventen, die in den kaiserlichen Prüfungen zwischen 1416 und 1904 am besten abschnitten, eingemeißelt. Und diese Prüfungen basierten wiederum auf den Grundsätzen der Morallehre des Konfuzius. Lynn aus Sydney ist daher zu Recht mehr als erstaunt:
„Es ist wirklich sehr beeindruckend, durch diese ganzen Stelen hindurchzugehen. Und es gibt eine ganze Reihe davon!“
Der 1302 vollendete Konfuzius-Tempel verwundert aber nicht nur aufgrund der Bauwerke, etwa der „Halle der Vervollkommnung“, der verschiedenen Pavillons und gravierten Steintrommeln oder wegen der drei steinernen Fabeltiere, denen gar magische Fähigkeiten nachgesagt werden. In einem großen Innenhof thronen außerdem etwa zehn mächtige Zypressen, manche von ihnen an die 700 Jahre alt. Diese Baumart steht in der chinesischen Symbolik für Langlebigkeit, und von einer dieser Zypressen, genauer gesagt von der genau rechts vor der „Halle der Vervollkommnung“, erzählt man sich sogar, sie habe einem vorbeieilenden, korrupten Beamten der Ming-Dynastie den Hut vom Kopf gefegt. Das verstand man damals natürlich als schlechtes Omen, und der betreffende Beamte wurde prompt entlassen…
Hat man die eben erwähnte Zypresse ob seiner moralischen Integrität, oder weil man gerade keinen Hut aufhat, unbeschadet passiert, kann man sich auf einer der zahlreichen Bänke im Schatten der Ruhe und Kraft ausstrahlenden Bäume niederlassen. Dort, von der Erkundung der Tempelanlage vielleicht etwas ermüdet und erschöpft, aber hoffentlich zufrieden, findet man sicher Zeit, um sich ein bisschen zu erholen und um noch einmal der Stille zu lauschen. Durchatmen, entspannen und etwas nachdenken, das fällt leicht an diesem Ort. Nachdenken über die so ganz andersartige Kultur und Lebensweise in China, die man so in der Art aus dem Westen einfach nicht kennt. Jeff aus Australien beschreibt das so:
„Wir waren schon in Europa und in Amerika, das war vergleichsweise einfach. Kommt man aber nach China, so ist alles außerhalb deiner Erfahrungen. Es ist eine total andere Kultur, ein ganz anderer Lebensstil.“
Und so verweilt man vielleicht noch etwas auf der Bank im Schatten einer Zypresse im Hof des Konfuzius-Tempels in Beijing. Betrachtet die anderen Besucher, aus der Weite die erwähnten Stelen und die drei Fabelwesen, und ob man will oder nicht, irgendwie kommt man doch wieder ins Spekulieren, ins Sinnieren. Doch kein geringerer als der Meister selbst bewahrt einen dann vor zuviel Grübelei: „Einer seiner Schüler überlegte immer dreimal, bevor er etwas tat. Als Konfuzius davon hörte, sprach er: „Zweimal überlegen – das reicht schon.“
Zuerst erschienen auf german.cri.cn